Samstag, 2. Februar 2019

[Gelesen] Andreas Eschbach - Die Haarteppichknüpfer

"Die Haarteppichknüpfer" ist anders als andere Romane. Es geht nicht um die Geschichte eines Protagonisten, eigentlich geht es überhaupt nicht um eine Geschichte - sondern der Leser entdeckt das Geheimnis einer Welt.


Am besten kann man den Roman als eine Sammlung von Kurzgeschichten beschreiben, die sich ergänzen und zusammen eine Einheit ergeben. Keine zwei Kapitel werden aus der Perspektive derselben Person erzählt; nur gelegentlich tauchen vorherige Erzähler in späteren Kapiteln als Erwähnung oder Nebenfigur wieder auf.

„‚Ich bin ein Haarteppichknüpfer und deswegen wirst du ebenfalls ein Haarteppichknüpfer sein!‘ Ostvan zeigte mit einer erregten Geste auf den unvollendeten Teppich im Knüpfrahmen. ‚Mein ganzes Leben lang habe ich an diesem Teppich geknüpft, mein ganzes Leben, und von dem Erlös dafür wirst du einmal dein Leben lang zehren. Du hast eine Schuld an mir, Abron, und ich verlange, dass du sie an deinem Sohn wieder abbezahlst. Und gebe Gott, dass er dir nicht so viel Kummer macht wie du mir!‘“ (S. 11)

Das Setting ist besonders, ein Science-Fiction-Setting, das aber auch Lebenswelten enthält, die eher historisch anmuten. Der Roman erzählt von einem Volk, in dem ein verbreiteter Beruf der des Haarteppichknüpfers ist: Ein solcher lebt polygam mit mehreren Frauen und möglichst vielen Töchtern, von denen er täglich die ausgekämmten Haare erhält, aus denen er seinen Haarteppich knüpft. Nur einen großen, feingewebten Teppich in seinem ganzen Leben - ist der im hohen Alter fertiggestellt, wird er verkauft und der (entsprechend hohe) Erlös an einen Sohn weitergegeben, der wiederum ebenfalls bis ans Ende seiner Tage mit diesem Geld auskommen muss und sein Leben damit verbringen wird, einen einzigen Teppich zu knüpfen.

Die erste Episode erzählt von einem Haarteppichknüpfer und seiner Familie. Die zweite Episode von einem Haarteppichhändler. Später gibt es eine Episode in der Stadt, in der ein Haarteppichhändler einkehrt, und so geht es fort und fort, die einzelnen Episoden ergeben als Puzzle das Gesamtbild einer einzigartigen Gesellschaft, bis man als Leser erfährt, was der Hintergrund dieser gesamten Lebensart ist.

„‚Der Kaiser bekommt so viele Haarteppiche, der weiß sicher kaum noch, wohin damit. Da kommt es auf einen mehr oder weniger bestimmt nicht an.'
Er setzte sich abrupt auf. ‚Das verstehst du nicht. Wenn ich sterbe, ohne einen Teppich vollendet zu haben, dann war mein Leben sinnlos.'" (S. 70)

Dieses Buch gehört zu meinen Lieblingsromanen, allein schon wegen seiner Einzigartigkeit - ich finde es immer wieder faszinierend zu lesen. Beim ersten Lesen hat mich die Auflösung einen Moment fassungslos gemacht, beim späteren Lesen werden die Episoden durch das Wissen um den Hintergrund noch runder. Obwohl ich an sich kein Freund von Episoden-Romanen bin - und dieser ist schon fast eher eine Sammlung von Kurzgeschichten - ich kann "Die Haarteppichknüpfer" jedem nur empfehlen, der mal ein etwas anderes Leseerlebnis wünscht.
Autor: Andreas Eschbach
Titel: Die Haarteppichknüpfer
Verlag: Bastei Lübbe
Seiten: 319
Erscheinungsjahr: 2005
Die deutsche Ausgabe ist die Originalfassung.

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