Samstag, 9. Februar 2019

[Gelesen] Monika Bittl - Die Expedition

"Die Expedition" erzählt eine wahre Geschichte.

Im Jahr 1903 kreuzen sich die Wege von fünf Frauen:
Die gutbürgerliche Alkoholikerin Ludmilla, ihre in den Alpen geborene Angestellte Rosi, die Künstlerin Henny, die mit Wahnvorstellungen kämpfende Gräfin Adele und die britische Ärztin Emily. Gemeinsam wagen sie sich an eine Alpenüberquerung im Winter nur mit Schlittenhunden - etwas, was noch kein Mann geschafft hat; in einer Zeit, in der noch eine Frau in Hosen für manche einen kleinen Skandal darstellt.



Der Roman wechselt zwischen den Perspektiven aller fünf Frauen; die Perspektivwechsel beinhalten aber keine Cliffhanger (was ich bevorzuge - ich empfinde das immer als billigen Versuch, Spannung zu erzeugen), sondern fügen sich nahtlos aneinander an, so wird z.B. die erste Hälfte einer Begegnung zwischen zwei der Frauen aus der Sicht der einen erzählt, um dann zu Wechseln und das Ende der Begegnung aus der Perspektive der anderen zu beschreiben.
"Ausgelassen rannten Mutter und Tochter los, quer über die Leopoldstraße Richtung Englischer Garten. Henny grinste frech die Spießbürger an, die sie schon alleine durch ihr Äußeres provozierte. Mit ihrem Bubikopf demonstrierte sie für eine neue Freiheit der Weiber. Sie rauchte auf offener Straße Zigaretten. Und manchmal lief sie am helllichten Tag in Hosen herum. Das größte Entsetzen hatte sie jedoch ausgelöst, als sie zusammen mit Erich ein Manifest mit dem 'Plädoyer für eine freie Sexualität' in die Briefkästen der Nachbarn gesteckt hatte.

Henny und Franzi spielten Fangen im Englischen Garten, legten sich ins Gras in die warme Föhnsonne, schlossen Wetten ab, welche Wolke schneller ziehen würde, sprangen wieder auf, verfolgten sich erneut, und Henny genoss das unverschämte Glück der Freiheit mit ihrer Tochter und dachte bei einer innigen Umarmung, dass sich sicher noch ein neues Glück dazugesellen würde, denn weder die Menschen noch das Glück waren gerne alleine." (S. 48)
Der Erzählerwechsel, der die Frauen abwechselnd zu Wort kommen lässt, macht sich auch im unterschiedlichen Sprachstil bemerkbar. Eine nochmal deutlichere Ausnahme unter den Frauen stellt dabei Rosi dar, die als einzige in der ersten Person erzählt - auf eine erfrischend flapsige Weise. Und sich dabei teils die tiefgründigsten Gedanken macht ...
"Aber wie die Gnädige Frau dann gesagt hat, dass sie gar nicht wissen würd, wie man zu einer Frau als Bergführer kommen sollt, da war ich beruhigt, denn die Gnädige Frau hat natürlich gewusst, dass die Theres und ich schon Bergführer gewesen sind! Und dann hat sie den Bubikopf auch relativ schnell wieder hinauskomplimentiert, auf eine ganz feine Art mit dem Likörangebot, so dass ich gedacht hab, das mit war wohl nur ein Ausrutscher. Aber da hab ich mich sauber getäuscht, genauso wie mit mir selbst, weil ich doch geglaubt hab, das mit dem Grafen war nur ein einmaliger Ausrutscher. Aber ich sag es Ihnen, auf nichts mehr ist heutzutage Verlass, nicht mal auf einen selbst!" (S. 91)

Die erste Hälfte des Romans erzählt dabei gemächlich die Begegnung der Frauen, den Prozess der Entscheidung für dieses Projekt, Vorbereitungen, bevor es in der zweiten Hälfte des Romans in die Berge geht. Ich hatte vom Klappentext einen größeren Anteil des "Abenteuers" erwartet, allerdings machen den Roman tatsächlich mehr die Beziehungen, Persönlichkeiten, Stärken und Nöte der so unterschiedlichen Frauen aus.

 "Was wollte sie eigentlich? Freilich war die Landschaft schön, und man würde noch Jahre ein ergiebiges Gesprächsthema haben, womöglich hätte Henny sogar recht, dass dieser Film sie richtig berühmt machen würde. Aber war es das wert?
Waren nicht ihr Alltag und ihre Ehe viel wichtiger? Und die hatte sie jetzt aufs Spiel gesetzt. War das nicht ein görenhafter Ausbruchsversuch? Rührten nicht all diese Ehekriege daher, weil jeder das Glück heiraten wollte, aber nur einen Menschen bekam? (S. 206-207)
Dennoch ist die Alpenüberquerung und die Schwierigkeiten, die eine solches Unterfangen begleiten, wenn man auf bequeme moderne Mittel verzichtet, natürlich sehr spannend und interessant - gerade für unbedarfte Flachlandmenschen wie mich, die sich allenfalls mal mit dem Skilift auf die Berge tragen lassen. Die Gewaltigkeit eines Gebirges wird anschaulich illustriert, die Mühen der Aktion - unabhängig davon, wieviele Details wahr sind, ist es eine spannende Geschichte.
"Henny blickte mit den Augen der bewegten Bilder in all die Ausschnitte dieser Welt, bis sie plötzlich dachte: 'Was tust du hier?' Was für eine Gewalt, was für eine Erhabenheit und Größe in dieser Winterlandschaft, und sie hatte nichts anderes zu tun, als sie bloß festhalten zu wollen! Noch keine Sekunde hatte sie die Kraft der Natur direkt auf sich wirken lassen! Sie schloss eine Weile die Augen, erspürte den Luftzug auf ihrer Haut und hob demütig wieder die Lider. Ja, Demut war hier angebracht, vor dieser wunderbaren Erhebung der Erde. Wie klein war der Mensch doch! Und wie wenig hatte er dieser Naturmacht entgegenzusetzen. Wenig? Nichts! Doch, eins: Die Kunst." (S. 187)
Die Autorin hat übrigens eine besondere Beziehung zu dieser Erzählung: Sie ist eine Nachfahrin einer der Frauen. Entsprechend ist das Nachwort in diesem Buch auch durchaus interessant zu lesen.

"Und ich hab mir noch gedacht, dass es schon ziemlich eigensüchtig ist, so ein G'schieß zu machen. Dass ich dann am gleichen Abend auch noch ein G'schieß gemacht hab, nicht weniger schlimm, das hätt ich mir nicht träumen lassen. Aber wie ich schon gesagt hab - ich werd jetzt endgültig nie mehr den Stab über jemanden brechen! Keiner weiß, was wirklich in einem steckt, bis es dann halt doch manchmal herauskommt." (S. 223)
Ich habe das Buch gern gelesen und kann empfehle es weiter - vor allem natürlich, wenn ihr euch fürs Leben im frühen 20. Jahrhundert interessiert.
Autor: Monika Bittl
Titel: Die Expedition
Verlag: Droemer
Seiten: 295

Erscheinungsjahr: 2010
Die deutsche Ausgabe ist die Originalfassung

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