Mittwoch, 7. November 2018

Mein Näh-Blind Date: Jeansjersey-Jacke aus einem Nähset ohne Anleitung

Manchmal bin ich ein bisschen mutig.
Neulich habe ich mal wieder bei dresowka.pl bestellt (ich brauchte Unijersey und Bündchen) und da fiel mir eine Neuheit auf: Ein komplettes Jackennähset für eine Jerseyjacke im Jeanslook. Die gezeigte Jacke war sehr schön, das ganze Set war nicht teuer, also habe ichs einfach mal ausprobiert.

Die Jackenform ist schön, die Anleitung nicht-existent, die Fotoqualität ... reden wir nicht drüber ;)

Allerdings gab es diverse Überraschungen:

Das Set kam schnell an und ich habe sofort begeistert ausgepackt.
Achtung! Der Schnitt ist als Stapel Zettel enthalten, die man noch zusammenkleben und ausschneiden muss - mir macht das nichts, diese Arbeit mache ich ganz gerne (nur das Drucken finde ich lästig). Wer aber lieber mit fertigen Schnittmustern arbeitet, sei hiermit vorgewarnt!

Nach dem Zusammenkleben fiel mir auf: Auf den Schnittmusterteilen steht "L". Ich hatte Größe M bestellt (was auch auf dem Karton steht). Ich bin also nicht ganz sicher, welche Größe ich wirklich erhalten habe ...
[und falls zwei Schnittmusterstapel verwechselt wurden, hoffe ich, dass nicht jemand, der Gr. L bestellt hat, Gr. M erhalten hat!]

Flatlay zur besseren Ansicht. Ja, das eine Knopfloch ist schief. Das ist charmant.


Mir fiel aber noch etwas auf: Es fehlte eine Anleitung. Eine kurze Nachfrage bei Dresowka ergab: Es gibt auch keine. Hmm. In der Beschreibung steht, das Set enthalte "alle notwendigen Produkte zum Nähen einer Jeansjacke", unter anderem war eine "Anleitung" aufgezählt. Das Wort ist im Deutschen nicht identisch mit "Schnittmuster" und die Jacke ist kein simpler Schnitt aus Vorderteil, Rückenteil plus Ärmeln, sondern hat eine ungewöhnliche Schnittführung - die (ungefütterte!) Jacke besteht aus über 30 Einzelteilen.

Puh.

Die Dinosaurier sind ein super Kombipartner!

Dazu kommt, dass man die Jacke auf den Produktfotos nur von vorne sieht und das Model auf allen Fotos die Hände in den Taschen hat und damit sowohl die Taschen ganz als auch die Vorderseite halb verdeckt. Man hat von der Vorderseite also bloß eine vage Vorstellung und von der Rückseite gar keine Ahnung.
[Die Rückansicht könnt ihr ganz unten sehen. Spoiler: Sie hat einen hübschen geschwungenen Bund.]

Aber hey, man wächst an seinen Herausforderungen. Und nach der ersten Überraschung war mein Ehrgeiz geweckt.
Es möge aber bitte keiner auf den Gedanken kommen, mir als nächstes ein Puzzle ohne Karton zu schenken ...

So gehören die Schnittteile zusammen. Oben ist der Kragen; die Vorderteile rechts liegen übereinander, wegen der Tasche.

Zum Glück bin ich eine einigermaßen geübte Hobbyschneiderin. Als Anfängerin hätte ich nicht mal gewusst, welches Teil wohin gehört.
Die sind auch noch auf Polnisch beschriftet. Gut, das kann man übersetzen. Aber wenn dann auf allen Vorderteilen (4, wenn man Bund und Passe weglässt) nur "Vorderteil" steht, hilft das auch nur mäßig weiter.

Ich habe mich dann anhand der Formen und meiner Erfahrungen mit dem Aufbau von Schnittmustern (inkl. verschiedener Taschenarten) so durchgehangelt, alles zusammengelegt und gehofft, dass es hinkommt.
Zum Glück sind die Nahtzugaben eingezeichnet und ich musste deren Breite nicht auch noch raten!

Eigentlich wollte ich das Taschenfutter zeigen ... ähm ja. Unten gibts eine Nahaufnahme.

Zunächst habe ich den Stoff, wie beim Produkt empfohlen, vorgewaschen ("dekatisieren" nennen sie es - dekatieren ist gemeint) und bekam beim Aufhängen prompt blaue Finger. In feuchtem und trockenem Zustand färbte der Stoff aber nicht mehr.

Dankenswerterweise sind Stoff und Vlieseinlage reichlich bemessen, da braucht man nicht zu befürchten, ohne Schnittauflageplan aufgeschmissen zu sein.
Auf welche Teile Vlieseline gehört, habe ich in meiner Burda-Sammlung nachgeschaut - da gibt es diverse Jeansjacken, die zwar anders geschnitten sind, aber Bund, Manschetten o.ä. haben ja viele. Und dann beim Aufbügeln gehofft, dass es eine normale Einlage ist, die man 8 Sekunden lang auf Stufe 2 aufbügelt und keine, für die man feuchte Tücher oder 20 Sekunden Bügelzeit braucht (denn auch für die Vlieseinlage gab es keinerlei Anweisungen). Hat geklappt!

Die Taschen verschwinden elegant in der Teilungsnaht.

Nächste Überraschung: Der beiliegende Futterstoff war nicht der abgebildete geometrisch gemusterte Baumwollstoff in Weiß, Schwarz und Gelb, sondern einfarbig rosa. Uärks, ausgerechnet!
Den habe ich dann in den Vorrat gepackt (kann ich für Patchwork o.ä. gebrauchen) und durch einen türkisfarbenen Rest von der Kreuzchen-Summer-Shorts ersetzt.

Hilfreich an Problemstellen: Mein Grundlagennähbuch, eine fertige Jeansjacke (zum Nachgucken, welche Nähte in welche Richtung abgesteppt werden) und ab und zu eine alte Burda mit Jeansjackenanleitung (für ein völlig anderes Modell, aber die ganz grobe Reihenfolge wird wohl ähnlich sein).

Die Jacke hat zwei Arten Taschen und beide sind ziemlich ungewöhnlich: Bei den Eingrifftaschen im seitlichen Vorderteil ist der hintere Taschenbeutel angeschnitten, also habe ich erst den vorderen Taschenbeutel mit der Eingriff-Öffnung verstürzt, dann die Nahtzugabe eingeschnitten und auf dem seitlichen Vorderteil die Nahtlinie zum rechten mittleren Vorderteil mit Nahtzugabe aufgezeichnet. So konnte ich das rechte mittlere Vorderteil einfach drauflegen, ohne raten zu müssen, wo ich nähen muss.
Klingt komplizierter, als es ist.

Für die Brusttasche ist oben an den Vorderteilen ein Stück des vorderen Taschenbeutels angeschnitten, deshalb gibt es für den Brusttaschenbeutel ein größeres und ein kleineres Schnittteil. Interessante Lösung! Mir gefällt aber nicht, wie die Tasche auf den Produktfotos aufsteht, deshalb habe ich sie weggelassen. Man hätte eine Taschenklappe dranmachen können - probiere ich vielleicht nächstes Mal aus!

Hier käme die Brusttasche hin.

Ein Hindernis gabs beim Kragen - ich habe ihn (mal wieder!) irrtümlicherweise nur bis zur Innenkante der Knopfleiste statt bis zur Mitte der Knopfleiste genäht. Kann man theoretisch machen, aber dann fängt der Kragen halt erst neben der Knopfleiste an statt dass er geschlossen ist, wenn die Jacke zugeknöpft ist ... gefällt mir nicht! Ich habe dann lieber getrennt.
Genau dieser Fehler passiert mir ständig. Am besten notiere ich mir das mal.

Ebenfalls zu voreilig war ich bei den Ärmeln: Ich habe vergessen, vorm Zuschnitt nachzumessen, wie lang sie sind. Wenn man dann ein paar Zentimeter weniger haben will, kann man meist noch unten kürzen - aber beim Anprobieren merkte ich dann, dass die Ärmel satte 10 cm zu lang waren! Ich habe dann gepfuscht, die überflüssige Länge unten abgeschnitten und die Ärmelschlitze mehr so hingemogelt. Schön ist eigentlich anders, aber mal sehen, ob es mich auf Dauer genug stört, um vernünftige Ärmelschlitze zu machen (ich könnte die Sache noch mit Belegen retten).
Ich hätte auch ausreichend Stoff gehabt, um die Ärmel nochmal neu zuzuschneiden, aber zweiteilige Ärmel zu kürzen ist dann doch etwas kniffliger und aufwändiger als einzelne und deshalb wollte ichs erstmal auf die bequeme Weise probieren.

Bittesehr, das Taschenfutter-Detail.

Die Knopflöcher hat Hana mir genäht, ich drücke mich immer davor ... es ging mehr schlecht als recht, weil der Stoff wirklich widerspenstig ist (ich habe es beim Nähen mit diversen Nadeln und Einstellungen probiert; nichts funktionierte wirklich gut, aber die Knopflöcher waren am schlimmsten). Dazu kommt, dass wohl eine festere Vlieseline besser gewesen wäre (aber es war eben nur die dünne dabei). Die Knopflöcher sind also nicht perfekt geworden, aber falls es mich sehr stört, kann ich sie immer noch per Hand übernähen.

Endlich! Da ist sie! Die mysteriöse Rückansicht! Die mitgelieferte Vlies-Einlage ist wirklich nicht fest genug.

Die Jackenform gefällt mir unheimlich gut - mit der Verarbeitung bin ich dagegen ziemlich unzufrieden. Gut, die improvisierten Ärmelschlitze waren definitiv meiner Schluderei geschuldet (ich hätte die Ärmellänge vorm Zuschnitt ausmessen müssen), aber an so einigen Stellen habe ich nur deshalb nicht nochmal den Nahttrenner geschwungen, weil ich so froh war, endlich eine vernünftige Naht ohne Fehlstiche hinbekommen zu haben. Jeansjersey vernähe ich definitiv nicht nochmal!

Mein Fazit:
Nähen mit nur einer vagen Ahnung, wie das Endprodukt aussieht, ohne ein vernünftiges Foto/Zeichnung und Rückansicht, ist ziemlich anstrengend. Vor allem mit den ungewöhnlichen Taschenformen, die ich so noch nirgends gesehen habe. Aber es macht mich doch ein bisschen stolz, einen eher komplizierten Schnitt ganz ohne Anleitung bewältigt zu haben!

Schnitt: "Jeansjacke" (aus Jersey) von Dresowka.pl, ohne Anleitung und entweder Gr. M oder Gr. L (ich habe M bestellt, es steht aber ein L auf den Schnittteilen- das L könnte theoretisch aber auch für irgendwas anderes stehen als die Größe)
Material: Jersey im Jeanslook
Änderungen: Brusttasche weggelassen, Schultern um 1 cm verschmälert, Ärmel um 9 cm gekürzt. Ob ich irgendwas anders genäht habe als vorgesehen, kann ich nicht wissen ;)
Nachnähpotential: Also, hübsch ist die Jacke. Mal gucken, wenn ich noch eine brauche, greife ich vielleicht auf diesen Schnitt zurück. Aber mit einem anderen Stoff!

Fürs Handarbeitsbingo kann ich hier ankreuzen: Etwas Einfarbiges handarbeiten, mit anderen gemeinsam kreativ sein.




Verlinkt beim MeMadeMittwoch und AfterWorkSewing.

Lg
Nria

3 Kommentare:

  1. Die ist aber toll geworden!
    Ich bin sehr begeistert von den ordentlichen Nähten. Welches Knopfloch schief sein soll, kann ich nicht mal sehen. Und da dass eine Jeansjacke und infolge dessen ein lässiges Teil ist, kann ich nicht mal finden, dass das Vlies nicht fest genug wäre.
    Also meiner Meinung nach hast du diese Herausforderung echt mit Bravour bestanden. :-)

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  2. Da kannst du zu Recht stolz sein!
    LG
    Susanne

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  3. Wow, gefällt mir richtig gut. Schaut mal viel spannender aus als die normalen Jeansjacken. Respekt fürs durchbeissen!
    Liebe grüße Susi

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