Heute widme ich mich einem Thema, das bei uns schon 2017 im Beitrag DIY vs. Minimalismus angeklungen ist: Der überbordenden Stoffkaufbegeisterung vieler Hobbyschneider:innen. Oder sollte ich eher sagen, Hobbystoffkäufer:innen?
Bei vielen Menschen läuft der Einstieg ins Nähhobby so ab: Sie fangen an zu nähen und freuen sich, dass sie aus der Fast Fashion-Industrie raus sind.
Dann sieht man jedoch Nähanfänger, die in zwei Jahren mehrere Hundert Meter Stoff gekauft (und unvernäht in den Schrank gelegt) hat. Manche kaufen Stoffe gar unbemerkt doppelt, weil sie Stoffe eines Designers "sammeln" und den Überblick verloren haben.
Aber ist es wirklich besser, 20 neue Stoffe im Monat zu kaufen als 20 neue Kleidungsstücke?
Beim Stoffkauf gibt es einige Fallen, die man beim Kleidungskauf nicht hat:
- So einige Stoffe sehen am Stück toll aus mit ihrem Muster, wirken aber als Kleidungsstück ganz anders und gefallen einem gar nicht unbedingt.
- Manche kaufen Stoffe als Ersatz fürs Nähen, weil Zeit oder Prioritäten fehlen. Große Stoffmengen sind aber eher Ballast, selbst wenn man sich am einen oder anderen Stoff einzeln erfreuen würde.
- Viele kaufen spontan alle Stoffe, die ihnen gefallen, ohne Plan, d.h. man sieht kein Kleidungsstück vor sich. Der Plan entsteht allerdings nicht von selbst, wenn der Stoff nur im Schrank liegt.
- Man hat getrennte Aufbewahrungen für Kleidung und Stoff. Aber Stoff ist Kleidung in spe, die untergebracht und getragen werden muss.
- Stoff ist schnell gekauft und die Motive sind verlockend (bei Kinderkleidung auch noch niedlich). Das verleitet zum Kauf, ohne zu bedenken, wieviele Kleidungsstücke das ergibt.
- Viele Stoffhändler bieten Eigenproduktionen an, die z.T. schnell vergriffen sind. Da schlägt man zu, ohne zu überlegen, ob das Motiv in den eigenen Kleiderschrank passt.
Dabei gibt es gute Gründe, das Ganze mal zu überdenken:
- Der eigene Geschmack und die Mode ändern sich, und während man sich mit
Unistoffen noch ganz gut bevorraten kann, ist das bei Musterstoffen
nicht sinnvoll. Besonders bei Kinderstoffen lohnt sich das Horten nicht.
Heute Stoffe zu kaufen, um sie in 5/10/15 Jahren zu vernähen, ist eine Rechnung, die nicht aufgeht, wenn man immer neue Stoffe kauft. - Es gibt mehr schöne Stoffe (Knöpfe, Schnittmuster usw.) auf der Welt, als man in seinem Leben
vernähen kann. Ständig kommen neue tolle Muster raus und man kann unmöglich alles besitzen, was man mag.
- Es kostet viele Ressourcen und Energie, Stoffe zu produzieren (von Umweltschäden gar nicht zu reden) und es kostet Geld, welche zu kaufen. All das ist verschwendet, wenn das Zeug dann nur im Schrank liegt und womöglich schon vergessen wurde.
Die Sachen wieder zu verkaufen, kostet viel Arbeit und man bekommt meist nicht mehr viel dafür ... falls man sie überhaupt loswird. - Man benötigt nur eine begrenzte Menge Kleidung. Wenn man neue Kleidung näht, muss man irgendwann alte Teile rausschmeißen, die man womöglich kaum oder gar nicht getragen hat und in die ebenfalls viel Geld, Zeit, Ressourcen und Energie investiert wurden. Wirklich schade drum, oder?
- Vorräte zu lagern, die man nicht benutzt, verstopft die Wohnung und kostet bei einer Mietwohnung dazu jeden Monat Geld, denn diesen Wohnraum bezahlt man nur für die Lagerung.
Wer sich angesprochen fühlt, sollte sich als erstes die Frage stellen:
Macht mich meine Stoffsammlung glücklich?
Klingt nach KonMari, aber das meine ich damit nicht. Sondern: Überlegt euch, ob ihr wisst, welche Stoffe ihr besitzt (zumindest den Großteil) und ob ihr euch nach dem Kauf noch daran erfreut.
Wenn ihr öfter überrascht seid, einen Stoff im Regal vorzufinden, hat euch eher der Kauf erfreut als der Besitz.
Kaufen macht glücklich, neue Dinge machen glücklich - aber zuviel Besitz belastet. Und Konsumieren um des Konsums willen (also diesen Glücksfaktor des Kauf-Akts und der neuen Dinge) hat leider schädliche Folgen. Für Geldbeutel, Umwelt, Ressourcenvorrat und die Menschen, die all die Stoffe und das Rohmaterial unter schlechten Bedingungen herstellen müssen.
Ungeschönte Wahrheit: Die Kaufliste.
Ich habe mir z.B. Grenzen von 50 € für Stoff und 10 € für Schnittmuster pro Monat gesetzt. Manchmal sprenge ich sie, aber bewusst und nicht für Spontankäufe. Denn 80 € für einen Mantel, den ich wirklich nähe und trage, sind besser angelegtes Geld als 48 € für sechs wahllos gekaufte Musterstoffe im nächsten Monat, die im Schrank verstauben.
Mögliche Lösungen, um den Stoffkaufrausch abzumildern:
- Fotos statt Kauf: Ich bin inzwischen dazu übergegangen, mir ein Foto vom Stoff zu speichern statt ihn zu kaufen. Hat angefangen mit einem vergriffenen Stoff, dem ich hinterhergetrauert habe und hilft ganz gut. Man muss nicht alles besitzen, nur weil es schön ist, und am tollen Print/Motiv erfreuen kann man sich auch am Foto auf dem Bildschirm.
- Ein bisschen schwieriger, aber sehr hilfreich: Skizzen machen von dem Motiv als Kleidungsstück, wenn es keine Designbeispiele gibt. Muss nicht perfekt sein! Alternativ: Mit einem Programmen umgehen lernen, das solche Skizzen digital anfertigt (es gibt verschiedene).
- Legt euch eine Stoffkaufliste an - mit Preisen! Monatlich und jährlich Menge und Preis zusammenrechnen; auch kleine Mengen summieren sich. Man kann später die Stoffe durchstreichen und mit Datum markieren, die man vernäht hat (macht Spaß und motiviert). Und am Ende des Jahres folgt die Ernüchterung ... oder das Erfolgserlebnis!
- Vorm Stoffkauf ganz konkret das Näh-Projekt dafür planen: Kauft nur, wenn euch auch wirklich einfällt, welches Modell ihr daraus nähen möchtet. Es gibt Stoffe, die sehen am Ballen einfach schön aus, wirken als Kleidung aber ganz anders - oder bieten sich nur für Maxikleider an, die ihr alle paar Jahre mal tragt.
- Generell: Vermeidet Spontan-Käufe. Ja, der Stoff ist vielleicht ein reduziertes Reststück, oder ihr seid in einer anderen Stadt, oder der Stoff ist in einer Woche vielleicht vergriffen ... aber sehr oft sind unüberlegte Käufe ein Fehlkauf. Es gibt sehr wenige Ausnahmen - wenn der Stoff zu 100% in allen Punkten eurem Beuteschema entspricht und ihr sofort einen konkreten Schnitt dafür vor Augen habt (und von der Sorte noch nicht 20 andere Teile im Schrank), kann es etwas werden. "Ach, so hübsch!" sollte aber nicht reichen für den Kauf.
- Sich bewusst an die Schwierigkeit erinnern, Stoff-Fehlkäufe wieder loszuwerden ... siehe unten.
- Man kann Stoffe in Foren oder Facebookgruppen verkaufen oder man nutzt Plattformen wie z.B. stoffetauschen (kostenlos - dort wird allerdings doch eher verkauft als getauscht). Eins muss man aber bedenken: Das ist nicht einfach. Manche gehypten Eigenproduktionen, also teure und buntbedruckte Jersey- und Sweatstoffe, wird man noch relativ gut los, bestimmte Kinderstoffe auch, aber das meiste liegt eher wie Blei im Regal. Es hilft, die Sachen sehr günstig anzubieten.
- Als Probestoff nutzen - wenn der Stoff nicht so teuer war, fällt es natürlich leichter.
- Umdenken oder ändern: Manche Stoffe kann man umfärben oder man nutzt sie für einen anderen Zweck als geplant, z.B. als Taschenfutter. Oder Experimente starten mit Fabric Manipulation, Stempeln und anderen Techniken.
Ein super guter Artikel zu diesem Thema! Ich selbst bin eher Kategorie eisern, aber auch mein Lager enthält Stoffe. Es sind zwar kleine Mengen, aber sie sind dennoch da. Wenn alles perfekt läuft, mache ich erst ein Nesselteil aus geschenkten, alten Nesselstoffen (meist löchrige Bettwäsche und so Zeug), bringe dann die Änderung in meinen Schnitt ein und lege diesen dann auf Stoff mit 1,4m Breite aus. Damit weiß ich exakt wie viel ich brauche. Allerdings gibt es halt dann doch auch unvorhersehbare Umstände (der gekaufte Stoff ist 1,65m breit, weniger Schrump beim Waschen als eingerechnet, der Händler meint es mir mal wieder gut und schneidet etwas mehr ab...) und schon hat man einen halben Meter übrig, der dann im Lager sein Dasein fristet. Oft bekomme ich sie noch verarbeitet, aber das ist schon manchmal anstrengend, kann gut verstehen, wenn das jemand nicht macht. Vor einer Zeit hat einer meiner Lieblingshändler geschlossen und ich habe tatsächlich zwei Stoffe auf Vorrat gekauft, die liegen jetzt da und ich hab keine Ideen, auch nervig :(
AntwortenLöschenLange Rede kurzer Sinn, ihr habt total Recht, wertvoll dass jemand darüber schreibt.
Grüße, Tina
Lesenswerter Post! Ja, die Entwicklung, die Du beschreibst, ist nicht selten. Und irgendwann wird die Stoffsammlung dann zur Last, was vielleicht die Beliebtheit von Aktionen, wie die „Stoffdiät“ vor ein paar Jahren erklärt. Ich muss mir da an die eigene Nase greifen, trotz penibel geführter Excel-Tabelle, indem ich die Stoffeingänge und -ausgänge festhalte. Was mir tatsächlich mehr geholfen hat, war das Foto, um Impulskäufe zu unterdrücken. Inzwischen kaufe ich ohne irgendwelche Regeln viel weniger, auch mal Monate gar nichts, einfach weil ich weniger nähe und blogge, was mich aber anderseits auch ein wenig traurig macht. Lieben Gruß Manuela
AntwortenLöschenIch bin auch dazu übergegangen Listen mit Stoff- und Wollkäufen anzulegen. Dazu kommen Preis, das gedachte Modell und das Fertigstellungsdatum. Es gibt pro Liste/Jahr eine Gesamtsumme der Einkäufe und die daraus resultierende Summe der fertigen Stücke. Es verbleibt die Summe der „ungenützten“ Ressourcen. Das ist aussagekräftig und lässt mich im Jahr darauf dementsprechend reagieren (einkaufen oder eben nicht).
AntwortenLöschenLiebe Grüße Manu