Wie vor 2 Jahren schon habe ich mal wieder am "Schrankleichentausch" einer Facebook-Nähgruppe teilgenommen! Man bekommt einen Tauschpartner zugelost und schickt sich gegenseitig einen im Schrank rumgammelnden Stoff, aus dem die andere Person dann binnen 2 Wochen etwas nähen und präsentieren soll.
Finde ich grad am Jahresanfang super, weil man einen Push zum Nähen bekommt, direkt ein Stück Stoff loswird (yay für die Stoffstatistik!) und aus dem, was man bekommt, sofort etwas macht, d.h. das landet gar nicht erst lange im Schrank.
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Sieht doch an sich ganz gut aus?
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Letztes Mal war es ein flutschiger grauer Jersey mit Neonstreifen, diesmal ... hmm, ein Polsterstoff?
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Das Corpus Delicti samt Grabbeigaben.
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Jedenfalls beigefarben, mit "Abriebmuster", grob gewebt und aus Kunstfaser. Die Webstruktur lässt mich an Möbel oder Gardinen denken, deshalb glaube ich, dass der Stoff eigentlich nicht für Kleidung vorgesehen ist. Als ob mich das jemals davon abgehalten hätte!
Fun Fact: Unsere ersten Stoffkäufe (fürs Liverollenspiel, dafür haben wir ja mit Nähen begonnen) stammten aus der Gardinenabteilung, weil es in unserer Nähe in den frühen Nuller Jahren keine Stoffläden gab ...
Jedenfalls hatte ich sofort eine Idee, denn schon vor Beginn der Challenge gab es da ein heimliches Wunschprojekt: Die Canton Moto-Bikerjacke von Cashmerette. Und dafür schien mir der Stoff geeignet!
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Ich finde den Kontrast zwischen Futter und Oberstoff toll!
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Das Muster erinnert mich nämlich etwas an Leather Look-Stoffe, das passt doch. Um etwas Farbe reinzubringen, habe ich das Teil mit einer eigenen Schrankleiche kombiniert: Der Ankerstoff, 2017 auf dem Stoffmarkt in Rheda gekauft, sollte eigentlich mal ein Kleid werden, ist mir dafür aber nicht weich genug. Als Torsofutter sicher ein schöner Kontrast!
Damit man auch außen was von den Ankern sieht, habe ich die Reißverschluss-Saumlösung an den Ärmeln durch Aufschläge ersetzt.
Die Canton Moto Jacket ist mein erster aufwändigerer Schnitt von Cashmerette - bisher hatte ich das Upton Dress (hier nur das Oberteil) und den Stanton Hoodie genäht, aber dabei nicht wirklich in die Anleitung geschaut, weil Selbstläufer.
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Etwas vom Winde verwehte Seitenansicht.
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Eine Bikerjacke ist aber schon komplexer, außerdem habe ich so eine asymmetrische Jacke tatsächlich noch nie genäht (ja, es gibt nach 20 Jahren noch Näh-Neuland für mich). Die Reißverschlussärmel probiere ich dann nächstes Mal.
Jetzt also eine kleine Review von Cashmerette (abgesehen von dem großen Größenangebot und Cupgrößen bis G/H):
- Die Schnittmuster sind rein in Schwarz-Weiß gehalten, das macht es nicht so leicht, die eigene Größe zu finden. Könnte sein, dass das bei den Papierschnitten anders ist als bei denen zum Selberdrucken, aber aus den USA will ich die auch nicht bestellen (hallo, Versandkosten und Zoll!).
- Es gibt in der Anleitung keine Fotos, dafür sehr klare Zeichnungen. Die mag ich viel lieber, weil man oft deutlich mehr erkennt! Generell machen Zeichnungen auf mich immer einen deutlich professionelleren Eindruck ... hat mir auch bei den Sachen von tinalisa schon gut gefallen.
- Dabei stehen hier auf den Schnittteilen durchgehend deren Zahlen - auch auf den bereits angenähten! Finde ich super, weil man so sehr leicht erkennt, welche Teile gerade wo liegen müssen.
- Für eine besonders knifflige Stelle ist zusätzlich ein Video verlinkt.
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So riiichtig toll ist die Jacke nicht genäht ...
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Etwas knifflig waren auch die Reißverschlusstaschen - auch, weil mein Reißverschluss kleiner war als angegeben (3 statt 5 mm Raupenbreite). Dementsprechend war auch das Band schmaler und ich musste es ein Stück von der Stoffkante entfernt annähen, weil ganze 1,2 mm Nahtzugabe enthalten sind, was mit meinem Reißverschlussband nicht funktioniert hätte.
Ich musste dabei mehrmals trennen, weil ich die Anleitung zu flüchtig gelesen habe, aber eigentlich ist es sehr eindeutig und gut beschrieben, nur halt anders, als ich es sonst mache. Dafür sieht es aber auch sehr gut aus, finde ich!
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Die Rückenpassform ist erstaunlich gut!
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Auch der Stoff war nicht so ganz ohne - offenbar für Möbel gedacht, hat er sehr dicke Fäden und ist dazu sehr lose gewebt. Das macht die Verarbeitung schwierig, weil er sich sehr stark auflöst (macht Spaß, wenn man nah zur Naht einschneiden muss ...) und beim Absteppen schnell verrutscht, aber dafür sind Rundungen wirklich easypeasy, wenn der Stoff sich so schön in die Kurven legt! Alles hat etwas Gutes.
Der Stoff ließ sich sogar ein bisschen bügeln, da war ich sehr erfreut! Solche Stoffe sind ja gerne ziemlich widerspenstig.
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Offen getragen sehen Bikerjacken nie so super aus, aber hey.
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Von der Optik kann ich sagen: Die Jacke gefällt mir. Sie ist aber wirklich hingepfuscht - ich wollte den Reißverschluss nicht kürzen, weil ich skeptisch war, ob mir die Jacke hinterher zusagen würde, deshalb habe ich ihn etwas gestaucht. Die Absteppungen sind nicht allzu sauber, die Ärmelaufschläge verrutschen gerne und die Ärmel hätten vermutlich eine Bizepserweiterung gebraucht, die sind nämlich beim Bewegen etwas eng (ich bin noch nicht sicher, ob auch der Armausschnitt zu klein ist). Die Nahtzugaben habe ich auch nicht zurückgeschnitten, weil sich der Stoff dann vermutlich aufgelöst hätte.
Ach ja, und ich merke auf den Bildern sehr die fehlenden Schulterpolster - ich hatte grad weder Polster noch Volumenvlies zur Hand.
Wirklich, seid froh über die mangelnden Nahaufnahmen, ihr wärt entsetzt ...
An sich bin ich aber sehr positiv überrascht von der Passform, wenn man bedenkt, dass ich bis auf ein wenig Ärmelkürzen nichts am Schnitt angepasst habe!
Der Cashmerette-Größenrechner hat mir diesmal nur mäßig viel geholfen; beim letzten Mal hat er mir oben Gr. 8 E/F vorgeschlagen, an der Hüfte Gr. 12 (und Taille hab ich vergessen). Jetzt habe ich inzwischen ein paar wenige Kilo zugenommen und es kam mit den aktuellen Maßen Gr. 10 C/D mit SBA (also Anpassung für eine kleinere Brust) raus ... Umfangmaße bilden meine Körbchengröße (G) einfach sehr schlecht ab, deshalb habe ich mich todesmutig wieder für die letzte Größe entschieden und bin ganz zufrieden.
Werde ich die Jacke tragen?
Vermutlich nicht. Ich traue dem Oberstoff nicht und bin mit meiner Verarbeitungsqualität echt unzufrieden - und vergessen wir nicht die zu engen Ärmel! Ich sehe das Teil aber als sehr gutes Probestück an (seien wir ehrlich, ich hätte niemals einfach so ein Probeteil mit Taschen, Futter, Einlagen und allem genäht!). Aktuell schwebt mir vor, das Futter für eine richtige Jacke zu verwenden (mit angepassten Ärmeln) und die Reißverschlüsse zu "retten". Und dann hoffentlich ordentlicher zu nähen, auf einem vernünftigen Stoff, der für eine Jacke wirklich geeignet ist.
Schnitt: Canton Moto Jacket von Cashmerette, lange Version, Gr. 8 E/F auslaufend zu 12 an der Hüfte
Material: lose gewebter Polsterstoff, Baumwollpopeline für den Futtertorso, Futtertaft für die Futterärmel
Änderungen: Die Reißverschlussärmel mit Krempelärmeln ersetzt, Ärmel um 3 cm gekürzt, Reverskante etwas verändert (ich habe an der Nahtzugabe gespart, um die Reißverschlusslänge auszugleichen)
Nachnähpotential: Definitiv! Dann aber mit gescheitem Stoff. Und mit einer Ärmelanpassung; die sind beim Bewegen doch etwas eng.
Verlinkt beim
MeMadeMittwoch.
Lg
Nria