Mittwoch, 3. Mai 2023

Der "schnelle" Blazer - Jacke 110, Burda 12/2021

Ich wollte schon seit fast 20 Jahren einen Blazer nähen - seit ich vergeblich versucht habe, für meine Abizeugnisübergabe (in der Turnhalle, meine Schule hatte keine Aula) einen Blazer zu kaufen. Extrakurzgröße plus G-Cup und sehr schmalem Rücken, ohne Maßanfertigung ist das unmöglich. Es hat dann erstaunlich lange gedauert, bis ich mich rangewagt habe.
[2019 hatte ich einen vielversprechenden Versuch mit dem Ottobre-Blazer gestartet, aber es war ein ungefüttertes Probeteil und der ziemlich steife Stoff sowie die zu kleine Größe verfälschen die tatsächliche Passform. Dieses Projekt werde ich aber demnächst doch mal wieder aufnehmen!] 

Fertiger Blazer zum langen Rock!

Es fing damit an, dass ich nichts anzuziehen hatte, genauer gesagt ging es um eine Jacke zum Abendkleid. Meine Jacken sind alle eher sportlich als elegant, und der eine akzeptable Wollmantel ist gerade geschnitten, was zu einem kurzen Kleid noch ganz okay aussieht, aber zu einem langen weiten Rock ziemlich blöd - und ich wollte doch gern meinen dunkelgrünen Tüllrock tragen! Außerdem ist er schon viele Jahre alt und nicht mehr so ganz perfekt.
Spätestens, als Hana mich fragte, ob ich sie zum Altar führe, wurde mir klar: Ich brauch was Ordentliches zum Anziehen! Ich wollte da wirklich nicht in einer zu langen 18 Jahre alten Steppjacke mit diversen Abnutzungserscheinungen und umgekrempelten Ärmeln reinmarschieren ...

Andere wären einfach in den nächsten Laden spaziert und hätten sich was gekauft (noch besser ist natürlich ein Secondhand-Laden!). Aber für mich ist das leider nicht so einfach - manchmal habe ich mit Mänteln zwar Glück, aber eine elegante Jacke im Blazerstil (oder gar ein richtiger Blazer) kann ich leider nirgends kaufen, siehe oben.
Aber zugegeben, auch jemand mit "Normfigur" hätte es momentan gar nicht so leicht gehabt, denn ein langer Rock braucht entweder einen Kurzblazer oder einen Mantel mit ausgestelltem Rock und so etwas gab es nirgendwo zu kaufen. Überall nur Steppjacken, Trenchcoats und doppelreihige Kastenjacken. Na toll.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch knapp eine Woche Zeit.

Mit der Seitenansicht bin ich doch recht zufrieden!

Zunächst habe ich hektisch meine Nähzeitschriften durchwühlt und bin tatsächlich mal wieder bei Burda fündig geworden. Bis auf ein Standesamt-Probekleid (das ich dann nicht genäht habe) war das zuletzt vor genau 3 Jahren der Fall ... aber hey, wenn man bei Burda eins findet, dann Blazer! Früher bestand praktisch das halbe Magazin daraus.

Beim Blazer 110 aus der Burda Style 12/2021 bin ich mir jedenfalls ziemlich sicher, dass er mein Kaufgrund für die Ausgabe war. Das ist aber auch ein schönes Modell! Er hat Taillen- statt Brustabnäher, einen angeschnittenen Stehkragen mit interessanter Ansatznaht, funktionslose Teilungsnähte und ein angesetztes Schößchen. Außerdem sind in der Schößchennaht Taschenklappen angesetzt, aber ohne Tasche drunter.
Hier könnt ihr euch den Originalschnitt anschauen (ohne all die Änderungen wirkt er ja etwas anders).

Bei der Kombi "Taillenabnäher plus Teilungsnähte" war ich zunächst irritiert und wusste nicht, wie ich da eine FBA umsetzen sollte, aber dass ich bei einem engen Teil aus Webware dringend eine Anpassung für große Oberweite brauchte, war klar. Beim Adeona-Mantel habe ich drauf verzichtet und es sitzt dementsprechend nicht.
Erst nachdem ich im Hobbyschneiderin-Forum einen Hilfe-Thread gestartet habe, bemerkte ich, dass die Teilungsnähte gar nicht formend sind, sondern rein dekorativ ... hoppla!
 
Hier sieht man die kleine Fake-Taschenklappe, die aus der Taillennaht ragt.

Also wurde es dann eine ganz normale FBA; den Brustabnäher habe ich in den Taillenabnäher verschoben. Dementsprechend wurde er ziemlich groß (gut 10 cm Abnäherinhalt) und es sieht unvorteilhaft aus ... Ich fürchte, Abnäher funktionieren für mich einfach nicht, weil durch meine kleine Körpergröße und tiefsitzende Brust Taille und Brust sehr nah beieinander liegen. Das wird im nächsten Schritt geändert.
Noch schnell die Schultern verschmälert und die Ärmel gekürzt und "schon" war der Schnitt bereit zum Testen.

Ich habe dann aus dem restlichen Stoff des Ember-Mantel-Flops ein erstes Probeteil genäht und siehe da, es sah gar nicht schlecht aus! Es ist für mich immer ein Pokerspiel, ob ein Teil, das dem flachbrüstigen großen Modell ohne Bauch gut steht, auch an mir mit meiner gegenteiligen Figur steht, aber hier war ich ganz zufrieden.
 
Nach der ersten Anprobe gab es noch ein paar Problemstellen:


  • Diese Falten vorn oberhalb der Brust sind wohl typisch dafür, dass die Schulter der Jacke zu waagerecht ist. Ich habe probehalber Schulterpolster druntergelegt, die das Problem aber nicht ganz behoben haben, und dann die Schulternaht noch etwas abgeschrägt. Außerdem habe ich die Schulter noch um einen weiteren Zentimeter verschmälert. 
  • Im Rücken beult es ziemlich, also ist sowohl zuviel Länge als auch zuviel Weite da. Ich habe erst meine übliche Hohlkreuzänderung durchgeführt - das obere Rückenteil unten in der Mitte gekürzt und zu den Seiten auslaufen lassen - und dann an der rückwärtigen Mittelnaht noch einen halben Zentimeter abgenäht, nur auf der unteren Hälfte. 
  • Ziemlich offensichtlich endet der Abnäher zu weit oben - er sollte nicht auf, sondern 2-3 cm unter der stärksten Stelle der Brust enden. Meine Oberweite sitzt ziemlich tief und dazu bin ich noch sehr klein, daher habe ich das Problem ständig. Ich habe den Abnäher verkürzt, einen Teil wieder zum Brustabnäher zurückgeschoben und Wiener Nähte daraus konstruiert.
  • Schließlich habe ich das ursprünglich gerade Schößchen vorn abgerundet und gekürzt, es hat jetzt einen Vokuhila-Effekt. Diese Form habe ich schon beim Adeona-Brautmantel verwendet - sie sieht viel harmonischer aus bei einem langen Rock als ein gerades Schößchen! Dementsprechend musste ich am unteren Saum auch einen Beleg einzeichnen statt 4 cm Nahtzugabe für einen angeschnittenen Beleg zuzugeben.

Weil es hinten immer noch Falten gab, habe ich das Rückenteil noch weiter gekürzt und es dann gut sein lassen. Ja, ein Blazer sollte am besten perfekt sitzen, aber ich hatte nunmal einfach wirklich wenig Zeit!

Das Material hätte ich eigentlich gern wieder bei Tuch&Stoff bestellt; da gibt es einfach die besten Wollstoffe, die schon beim Zuschnitt richtig Spaß machen (ich wusste vorher nicht, dass das Spaß machen kann!). Aufgrund der Kürze der Zeit habe ich dann stattdessen die Stoffgeschäfte in Osnabrück abgeklappert und bin bei den Stofftanten fündig geworden; der Laden liegt leider etwas abseits, hat aber eine großartige Auswahl an allem, von Taschenzubehör bis Bekleidung. Und sogar ein paar feine Wollstoffe gab es. Dieser hier hat eingewebte Punkte/Kreuze (es ist so eine Mischung aus beiden), ist daher auf der "Innenseite" kariert und es gab ihn sogar in verschiedenen Farben, von Hellgrau bis Schwarz. Ich habe die kontrastreichste Variante genommen, weil mir als Wintertyp das am besten steht.

Der Rücken ist oben noch zu lang und etwas zu weit, aber mein Stoff ist auch dünner als beim Probeteil.

Einen blöden Fehler habe ich gemacht: Nachdem ich die Schulternaht vertieft habe, hätte ich unbedingt entweder den Armausschnitt unten um den gleichen Betrag vergrößern oder die Armkugel um 1,5 cm verkürzen müssen. So hatte ich natürlich zuviel Stoff, den ich nicht vernünftig einhalten konnte, daher die Falten am Ärmel. Superärgerlich! Aufgrund des Zeitmangels habe ich dann aber vorerst darauf verzichtet, das zu korrigieren. Wird aber nachgeholt; auf Dauer stört mich das doch zu sehr.

Für die Anpassungen habe ich gut 4 Tage gebraucht - die komplette Fertigstellung von Zuschnitt bis Bügeln nach der letzten Handnaht hat dagegen lediglich 8 Stunden gedauert ...

Für die Kürze der Zeit bin ich zufrieden!

Dafür, dass ich wirklich wenig Zeit hatte, gefällt mir das Ergebnis ziemlich gut. Ich glaube, für den langen Rock hätte ich das Schößchen noch weiter kürzen können, aber man kann den Blazer ja auch gut zur Hose tragen :)
Schnittmuster: Blazer 110 aus der Burda Style 12/2021, Gr. 40 (ab Hüfte abwärts 42/44)
Material: Wollstoff mit eingewebten "Kreuzpunkten", Futterstoff
Änderungen: FBA um ca. 3 cm, Brustpunkt ein paar Zentimeter nach unten versetzt, den Taillenabnäher gekürzt und zu einer Wiener Naht abgeändert, Taille 1 cm verbreitert, Schultern um 2,5 cm verschmälert, Schulter außen um 0,75 cm "abgesenkt" (Anpassung für hängende Schulter), Ärmel um 8 cm gekürzt, untere Hälfte des Rückenteils innen um 0,5 cm verschmälert, Hohlkreuzanpassung um etwa 3,5 cm, Schößchen gekürzt und abgerundet (und dementsprechend mit Beleg gesäumt)
Nachzuholende Änderung: Armausschnitt unten vergrößern oder Armkugel um 1,5 cm verkürzen
Nachnähpotential: Nach all der Arbeit am Schnittmuster: Bestimmt!
Verlinkt beim MeMadeMittwoch.

Lg
Nria

10 Kommentare:

  1. Wow, die Arbeit hat sich auf jeden Fall gelohnt! Ich bewundere deine Geduld. Jetzt hast du einen tollen Blazer der dir super steht!!! LG rosalie-unikat

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  2. Toll! Ein Blazer ist echt ne Menge Arbeit, bei Dir hat es gelohnt, ein schönes Teil ist entstanden. Passt super zum grünen Rock. Dieser Rock ist sowieso das Highlight, wer schaut da noch auf den Blazer ;-) Gut, dass Du dich durchgekämpft hast. LG Kuestensocke

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  3. Zum Glück hast Du dich rangewagt, mit den notwendigen Anpassungen in der kurzen Zeit ist dir ein schöne Passform gelungen. Da hast Du quasi einen Basisschnitt kreiert. LG Jeanette

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  4. Der Blazer steht dir echt gut und sieht super zum Tüllrock aus. Mit all den Anpassungen so einen Blazer in so kurzer Zeit zu nähen, finde ich bewundernswert. Ich habe mal einen Blazer in einem Nähkurs genäht, das habe ich als sehr aufwendig in Erinnerung. LG gabi

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  5. Ein schönes Outfit. Der Blazer ist wirklich gelungen, besonders in der sehr knappen Zeit :)

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  6. Ich bin beeindruckt, dass du in so kurzer Zeit einen Blazer mit Anpassungen geschafft hast. Ich würde mich nicht Mal trauen anzufangen... Bei zwei Punkten kann ich dir Recht geben, die nachträglich noch notwendige Änderung der Armkugel/des Armausschnitts und auch die Länge des Schösschens wäre bei dieser Kombi mit langem Rock etwas kürzer besser. Allerdings stell ich mir die Länge zur Jeans optimal vor :)
    Viel Freude mit diesem besonderen Stück. Grüße Tina

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  7. Superschön ergibt mit dem langen Rock einen ganz tollen, festlichen Look!
    Deine sorgfältige Vorarbeit hat sich total gelohnt;
    Ich finde auch, wenn die Burda eins kann, dann Jacken, Blazer und Mäntel; ich habe alle meine Jacken und Mäntel nach Burda-Modellen gearbeitet.
    LG von Susanne

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  8. wirklich wunderbar geworden! der Stoff gefällt mir total gut....und das du das Schößchen abgerundet hast, ist perfekt. Der Blazer sieht superschön aus und steht dir. Ja, zu langen Röcken das ist wirklich schwierig. Dein Blazer hat einfach ganz viele tolle Deatils. Das mit den Ärmeln wirst du sicher noch gut ändern können :0) Ich bin gerade am abnehmen und will mir aber unbedingt auch noch einen schönen Blazer nähen. Das verschiebe ich aber noch ein bisschen, genau wie die Klamotten. leider bin ich auch immer noch ein bisschen ausgebremst. Aber ich schaue gerne bei euch vorbei und hole mir Anregungen :0) ...ganz LG aus Dänemark, Ulrike :0)

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  9. Richtig toll, dein Blazer und das in so kurzer Zeit. Klasse.
    LG Miriam von MeinLebensspiel

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  10. Die Fertigstellung deines tollen Blazer gleicht ja einem Krimi. Unter Zeitdruck so ein großes Projekt anzufangen ist eine Herausforderung.

    LG, Heike

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